Es genügt schon ein falsches Wort : Wächterinnen neben den Wachposten: | Machsomwatch
אורנית, מהצד הזה של הגדר

Es genügt schon ein falsches Wort : Wächterinnen neben den Wachposten:

Es genügt schon ein falsches Wort : Wächterinnen neben den Wachposten:

source: 
Frankfurter Allgemeine Zeitung
author: 
Maria Frisé

 

Ein Ausflug mit den Frauen der israelischen Friedensbewegung "Machsom Watch"

zu den Kontrollpunkten im Westjordanland.

NABLUS, Ende Juni

Wir sind mit Naomi Lalo verabredet, der Sprecherin von "Machsom Watch". Bevor wir einen der größeren Checkpoints in der Nähe von Nablus, nördlich von Jerusalem, erreichen, steckt sie sich das handtellergroße Abzeichen dieser Friedensorganisation an ihr schwarzes T-Shirt. "Women against Occupation and for Human Rights" steht kleingedruckt unter dem Piktogramm eines Auges. Vor sieben Jahren, als die Zusammenarbeit zwischen Jüdinnen und Palästinenserinnen immer schwieriger und zuletzt unmöglich wurde, haben Frauen aus dem sogenannten israelischen Friedenslager "Machsom Watch" gegründet. "Wir wollten nicht tatenlos zusehen, wie brutal einige unserer Soldaten an den Kontrollpunkten zum Westjordanland mit Palästinensern umgingen", berichtet Naomi Lalo. "Menschenrechtsverletzungen, Übergriffe und Schikanen können wir zwar oft nicht verhindern, wir registrieren sie aber zumindest und melden sie den verantwortlichen Stellen."
 

Jeden Tag stehen sie zu zweit oder dritt an einigen Brennpunkten, versuchen Streit zu schlichten, helfen Kranken schneller durch die Kontrollen zu kommen, verhandeln auch gelegentlich, wenn lebensnotwendige Transporte wie Milch und andere Lebensmittel länger aufgehalten werden. "Man kennt uns, wir sind unbequeme Beobachterinnen. Unser Ziel, die israelische Öffentlichkeit wachzurütteln, haben wir allerdings nicht erreicht. Manchmal werden wir von unseren Landsleuten als Verräterinnen beschimpft." Dabei versteht Naomi Lalo wie die anderen "Machsom"-Frauen auch, dass Israel sich vor Terror schützen muss. Ob die Checkpoints zum Selbstmord entschlossene Attentäter abschrecken, hält sie freilich für eine offene Frage. Ein friedliches Nebeneinanderleben, so argumentiert sie, könne nicht durch Gewalt und Abschottung, sondern nur durch Verhandlungen entstehen.
 

"Machsom" ist ein hebräisches Wort, es bedeutet Sperre, Barriere. Zwischen West- und Ostjerusalem gibt es mindestens zwei solcher Kontrollstationen, die die Durchfahrt versperren und für Palästinenser ohne besondere Ausweise und Passierscheine unmöglich machen. Im Westjordanland, etwa so groß wie das Bundesland Bremen, wurden die knapp sechshundert Blockaden nicht nur entlang der "Grünen Linie", der Grenze nach dem Sechs-Tage-Krieg, gebaut, sondern oft bis zu acht Kilometer weit hinein auf palästinensischem Gebiet. Nach und nach wurden auch palästinensische Städte durch Stacheldraht, Mauern und Erdwälle abgeriegelt. Dörfer sind jetzt von Nachbardörfern und vor allem von ihren Feldern und Olivenhainen abgeschnitten. Schulen, Krankenhäuser, Arztpraxen und Behörden nur auf langen, zum Teil unbefestigten steinigen Umwegen und mit schriftlicher Genehmigung zu erreichen, denn die breiten neuen Straßen, die das Westjordanland durchziehen, dürfen Palästinenser nicht benutzen.
 

Die acht Meter hohen Mauern, die Wachtürme und Elektrozäune, hinter denen sich Israel verbarrikadiert und die das Westjordanland in unzählige Enklaven zerstückeln, wecken bedrückende Erinnerungen. Einige Kontrollstationen sind provisorische Unterstände aus Wellblech, oft flankiert von einem oder mehreren hohlen Betonwürfeln, in denen die wachhabenden Soldaten Schutz vor Steine werfenden Kindern finden, andere sind mit Panzerglas, stabilen Eisengittern und automatischen Schleusen nahezu so perfekt ausgebaut wie einst Marienborn bei Helmstedt.
 

Naomi bleibt an unserer nächsten Station Kalandia, dem zentralen Grenzposten zwischen Jerusalem und Ramallah, wie verlangt, in einiger Entfernung von den schwerbewaffneten jungen Israelis stehen, die die schweigende Menschenschlange bewachen. Niemand drängelt. Wie lange Männer und Frauen mit Kindern hier in praller Sonne warten müssen, bis einer nach dem anderen durch das enge Drehkreuz hindurchgelassen oder vorher schon abgewiesen wird, lässt sich im Voraus nicht berechnen. Die Überprüfung des Ausweises kann Stunden dauern, erst recht die Durchsuchung des Gepäcks und die Leibesvisitation. Jungen Männern werden dabei oft die Augen verbunden, die Hände gefesselt. Unter solchen Erschwernissen ist es für Palästinenser fast unmöglich, in Israel zu arbeiten, Verwandte und Freunde zu besuchen oder auch nur einzukaufen. Lehrer wie Schüler können nicht pünktlich zum Unterricht kommen, Geschäftsleute verpassen ihre Verabredungen. Das alltägliche Leben ist gelähmt. In der Westbank stieg die Arbeitslosigkeit auf fünfundsechzig Prozent.
 

"Willkommen am Tor zur Hölle!" So begrüßt ein junger Palästinenser die "Machsom"-Frauen auf dem Parkplatz des Kontrollpunkts Kalandia. Er bedauert, dass die Beobachterinnen dort nicht rund um die Uhr ihren freiwilligen Dienst tun. Hin und wieder durchbrechen knappe Befehle die bedrückende Stille. "Kein Wunder", sagt Naomi Lalo, "dass hier die Nerven bloßliegen, auch die Soldaten sind dieser Spannung nicht gewachsen. Es genügt schon ein falsches Wort, eine scheinbar bedrohliche Bewegung, um Feindseligkeit und Hass in Gewalt umschlagen zu lassen." Naomi Lalo war selbst beim Militär, zwei Jahre wie alle Frauen in Israel, sie weiß, wie man junge Menschen beeinflussen kann. Sie bedauert die jungen Männer, die drei Jahre dienen müssen und so alt sind wie ihr Sohn. "Man hat ihnen gesagt, dass sie hier auf diesem Posten ihr Land verteidigen, dass jeder Palästinenser verdächtig ist, ein Terrorist zu sein. Sie schwitzen unter ihren kugelsicheren Westen, langweilen sich, aber manche genießen es auch, mit ihren schweren Waffen Angst und Schrecken zu verbreiten. Sie geben nicht nur Warnschüsse ab. Die Zahl der erschossenen Jugendlichen, Zehnjährige darunter, ist ungenau. Auf israelischer Seite zählt man die bei Terroranschlägen umgekommenen Toten genauer. Opfer sind sie beide."
 

Am nächsten Tag fahren wir mit Roni Hammermann und ihrer Arabisch sprechenden Freundin, einer Übersetzerin und Verlegerin, nach Hebron. Wir sehen auf den Hügelkuppen rechts und links der autobahnähnlichen Piste die schmucken neuen Reihenhäuser, aus rotem Backstein widerrechtlich auf palästinensischem Gebiet gebaut. Breite Straßen führen zu ihnen hin und durchschneiden die Terrassengärten und Olivenhaine der Bauern, die die Siedlerstraßen nicht überqueren dürfen. Die alten Dörfer haben keine Straßenschilder mehr, dafür sind Wegweiser zu den neuen Siedlungen wie Efrata umso größer.
 

Hebron, die alte Königsstadt, war noch vor wenigen Jahren mit ihren hundertdreißigtausend Einwohnern ein lebhaftes Handelszentrum. Doch seit es dreihundertfünfzig militanten Siedlern gelungen ist, sich im historischen Zentrum beim Grab von Urvater Abraham festzusetzen, ist die Stadtmitte eine Geisterstadt. Mehr als tausend Geschäftsleute mussten ihre Läden schließen, fünfhundert wurden von Soldaten vertrieben, die zum Schutz der Siedler aufmarschiert sind. Ganze Straßenzüge stehen leer. Die ehemaligen Einwohner drängen sich bei Verwandten und Freunden zusammen. In der Mauer eines Hauses gegenüber erinnert eine Tafel aus Marmor, dass hier 2002 ein Rabbi ermordet wurde. Die Siedler aber vergessen gerne, dass 1994 wenige Schritte entfernt ein fanatischer Siedler neunundzwanzig betende Muslime in der Abraham-Moschee erschossen hat. Das war der Startschuss für Mord und Totschlag.
 

Als Ausländer passieren wir ohne Schwierigkeit den Kontrollposten. In dem einst lebendigen Wallfahrtsort - außer dem Stammvater Abraham sind hier auch Sara, Rebekka, Jakob und Lea begraben - sind wir wohl die einzigen Touristen. In der alten Einkaufsstraße wird uns Pfefferminztee angeboten. Unsere beiden Begleiterinnen von "Machsom Watch" sind nicht mit uns gegangen. Sie wurden inzwischen von arabischen Jugendlichen angesprochen: arbeitslos, ohne Zukunft seien sie, die Welt habe sie vergessen.

 
"Schrei, geliebtes Land" hat Gideon Levy die Sammlung seiner in "Ha'aretz" veröffentlichten Beiträge überschrieben. Er fährt wie seine Kollegin Amira Hass regelmäßig in die seit einundvierzig Jahren besetzten Gebiete. Was er dort sieht, ist in seiner Zeitung Woche für Woche zu lesen. "Endlich müssten auch unsere Abgeordneten in der Knesset diese Schreie hören", sagt Roni Hammermann. "Wir wollen Frieden, für uns und unsere Nachbarn." Sie, deren Großeltern in Auschwitz ermordet wurden, wird im September nach Deutschland kommen und für die "Machsom Watch"-Frauen, zusammen mit Mitri Raheb, dem palästinensischen Pfarrer der evangelischen Weihnachtskirche in Bethlehem, den Aachener Friedenspreis entgegennehmen.